Das politische Oberhaupt Italiens ist nicht mehr vor Strafverfolgung geschützt. Das höchste italienische Gericht erklärte Berlusconis Immunität für verfassungswidrig und hob sie damit auf. Für viele ist dieser Urteilsspruch eine Überraschung. Berlusconi drohen nun mehrere Prozesse. Zurücktreten möchte er nicht.
Nachdem Berlusconi 2008 wiedergewählt wurde, brachte er das Gesetz auf den Weg, das ihm vollkommene Immunität und damit Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung sicherte. Gestern, am 7. Oktober 2009 wurde nun dieses Gesetz von den 15 höchsten italienischen Richtern gekippt. Sie entschieden, dass dieses Gesetz dem Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz widerspricht. Außerdem sei für eine solche Regelung eine Änderung der Verfassung notwendig gewesen. Berlusconi wirft dem Gericht jetzt vor, eine politisch motivierte, links gerichtete Entscheidung gegen ihn getroffen zu haben.
Berlusconi und die Skandale
Trotz zahlreicher Bestechungsvorwürfe, Affären mit Prostituierten, pikanter Bilder aus seiner sardischen Villa und Turteleien mit einer 17-jährigen hat Berlusconi das italienische Volk hinter sich. Keine Peinlichkeit, keine Affäre konnte seinem Ansehen wirklich nachhaltig schaden und so wurde er 2008 bereits zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten Italiens gewählt. Und genau aus diesem Rückhalt zog Berlusconi auch die Rechtfertigung für sein Immunitätsgesetz: Dass er regiere, sei Wille des Volkes und darüber dürfe sich kein Richter erheben. Als Ministerpräsident solle er regieren und sich nicht mit Prozessen herumschlagen müssen. Aus diesen Argumenten folgte der für Berlusconi logische Schluss, der Regierungschef könne vor Gericht nicht wie jeder andere Bürger auch behandelt werden.
Jetzt drohen ihm gleich zwei Verfahren. In dem einen wird ihm vorgeworfen, die Justizbehörden beeinflusst zu haben. Berlusconi soll seinen früheren Anwalt David Mills für Falschaussagen in Prozessen, die in den 90er Jahren stattfanden, bezahlt haben. Mills wurde deshalb bereits zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt – jetzt könnte auch der italienische Ministerpräsident zur Verantwortung gezogen werden. Das zweite Verfahren steht in Zusammenhang mit Berlusconis Konzern Mediaset. In den 90ern soll Mediaset über Tarnfirmen die Kosten für die Senderechte an US-Filmen künstlich in die Höhe getrieben haben. Dadurch sei Steuerhinterziehung verschleiert worden, deren Gewinne Mediaset in schwarzen Kassen im Ausland gebunkert haben soll.
Berlusconi reagierte auf den Urteilsspruch und die resultierende Gefahr vor Anklagen verärgert, denn die drohenden Prozesse seien die pure Farce. "Ich werde einen Teil der Zeit, die ich dem öffentlichen Wohl widme, nun damit zubringen müssen, dort hinzufahren und sie alle Lügen zu strafen. Diese Dinge auferlegen sie mir und den Italienern. Es lebe Italien, es lebe Berlusconi."
Steht Berlusconi als Staatsoberhaupt Immunität zu?
Berlusconi ist der vom Volk gewählte Ministerpräsident Italiens. 2008 wurde er bereits zum dritten Mal in seinem Amt bestätigt. Auch jetzt noch stehen, wenn man Umfragen Berlusconi-treuer Zeitungen Glauben schenken darf, 70 Prozent der Italiener hinter ihrem Staatsoberhaupt. Und mit dieser Unterstützung gelingt es Berlusconi auch in der Krise, selbstsicher zu bleiben. Auch wenn seine Gegner nach dem Immunitäts-Urteilsspruch nun seinen Rücktritt verlangen, findet er Rückhalt in seinen Wählerstimmen. Zu Journalisten sagte er: "Nichts wird passieren, wir werden weitermachen."
Die meisten Staaten der EU verfügen über einen Immunitäts-Schutz ihrer Regierungs-Repräsentanten. Dass ein Regierungschef regieren soll und sich nicht mit Privatprozessen beschäftigen soll, wird als normal angesehen. Auch wenn diese Immunität in einigen Ländern (etwa Frankreich) weitreichender ist als in anderen (etwa Großbritannien) – der Schutz der Regierungshäupter gegen strafrechtliche Verfolgung ist nichts außergewöhnliches. Warum sie Empörung gerade im Fall von Berlusconis Immunität so groß war, liegt einfach in dem Umstand, dass der Italiener ein solches Gesetz schaffen wollte, um sich vor bereits begangenen Straftaten zu schützen. Gegen kein anderes europäisches Staatsoberhaupt gibt es so viele strafrechtliche Vorwürfe in mehreren Anklagepunkten. Berlusconi versucht die Gesetze seines Landes zu ändern, um sich selbst vor juristischer Verfolgung und Bestrafung zu schützen – eine Vorgehensweise, die kritische Beobachter seit in Kraft treten des Immunitätsgesetzes 2008 als nicht hinnehmbar betrachteten. Ihnen wurde nun Recht gegeben.
Als letzter Ausweg bleibt Berlusconi nun noch eine Verfassungsreform. Falls er auf diesem Weg versuchen wird, ein Immunitätsgesetz einzuführen, schätzen Experten die Zeitspanne bis ein Immunitätsgesetz in Kraft treten könnte, auf 12 Monate. In dieser Zeit werden die Anwälte des Staatsoberhaupts alles versuchen, die Prozesse gegen ihn zu verlangsamen. Und solange Berlusconi die Sympathien und Stimmen seines Volkes inne hat, ist er zunächst einmal unabhängig von eventuellen Gerichtsverfahren, zurecht der vom Volk gewählte Regierungschef Italiens. Ob die Italiener auch weiterhin hinter Berlusconi und seiner Politik stehen werden, kann nur die Zukunft zeigen.
Autorin: Anne Bartel, Platinnetz-Redaktion