Obwohl die Kaufsucht im Gegensatz zur Alkoholsucht oder Drogensucht nicht als eigenständige Krankheit gilt, ist sie weiter verbreitet als man meint. Rund ein Viertel aller Deutschen sind laut einer Studie "deutlich kaufsuchtgefährdet". Aber woran erkennt man den Unterschied zwischen noch normalen Frustkäufen und Kaufsucht?
"Ich konnte einfach nicht mehr aufhören, irgendwelche Dinge zu kaufen", erzählt Daniela (47). Sie leidet unter Kaufsucht. Jahre lang hat sie unkontrolliert eingekauft, jetzt ist sie in Therapie und versucht ihre Sucht unter Kontrolle zu bekommen. "Seit ungefähr einem halben Jahr habe ich schon keinen Sucht-Einkauf mehr getätigt."
Hinter der Sucht liegt die Suche nach Bestätigung
Die Zwangsstörung Kaufsucht ist eine psychische Störung, ähnlich der Spielsucht oder der Kleptomanie. Oft ist sie wesentlich schwieriger zu erkennen als stoffgebundene Süchte wie Alkoholismus oder Drogenmissbrauch, weil die Kaufsucht nicht die Persönlichkeit verändert. Kaufen an sich ist zudem nicht nur gesellschaftlich gebilligt, sondern erwünscht. Das Suchthafte bleibt deshalb sowohl vom Umfeld als auch von den Betroffenen selbst lange unerkannt.
Kaufsüchtige Menschen leiden unter einem inneren Zwang. Sie kaufen Dinge nicht weil sie sie brauchen – oft werden die ungeöffneten Verpackungen Zuhause versteckt oder sogar weggeworfen. Durch den Kauf erleben die Betroffenen ein Glücksgefühl, das jedoch von kurzer Dauer ist. Die Kaufsüchtigen leiden unter einem sehr geringen Selbstwertgefühl. Beim Einkaufen fühlen sie sich umworben und haben das Gefühl, sich durch Konsum etwas Gutes zu tun – sich etwas zu gönnen. Sie holen sich durch den Kauf eine Bestätigung und Befriedigung, die sie in ihrem Umfeld ansonsten nicht bekommen. Ursachen liegen oft schon in der Kindheit und sammeln sich im Laufe des Lebens an. Familiäre Probleme oder Ängste sind genauso wie traumatische Ereignisse häufige Auslöser für die Kaufsucht. "Bei mir war der Auslöser der Tod meines Mannes", sagt Daniela. "Ich bin mit der Trauerarbeit alleine nicht zurecht gekommen und habe den Fehler gemacht, mir keine Hilfe von Außen zu holen. Statt dessen habe ich versucht mich durch einkaufen abzulenken – irgendwann konnte ich es dann nicht mehr kontrollieren." Häufig ist der Suchtverlauf ähnlich: Zunächst tätigt man eine Reihe von Frustkäufen, mit denen man sich für negative Ereignisse "entlohnen" möchte. Wenn sich die Einkäufe dann beginnen zu häufen, leiden die Betroffenen immer öfter unter Schuldgefühlen und Depressionen. Um diese negativen Gefühle zu betäuben, gehen sie wieder einkaufen. So entsteht ein Teufelskreis, aus dem viele nicht mehr selbstständig heraus finden.
Wege aus der Sucht
Wie auch der Alkoholismus ist die Kaufsucht nicht heilbar. Betroffene wie Daniela können es jedoch schaffen, ihre Sucht unter Kontrolle zu bekommen. 2008 stellte die Universität Erlangen europaweit die erste Therapie vor, deren Erfolg auch wissenschaftlich nachgewiesen ist. Nach 12-wöchiger Therapie hatten die Hälfte der Probanten ihre Kaufsucht im Griff. Der Kernpunkt der Therapie ist laut Studienleiterin Astrid Müller die Selbstbeobachtung. Die Patienten müssen herausfinden, wann genau ein erneuter Suchtanfall auf sie zukommt und diesen dann verhindern, indem sie sich ein anderes Ventil suchen. Dafür ist jedoch sehr viel Arbeit nötig, denn "so einfach wie es sich anhört ist es für einen Süchtigen nicht", bestätigt Daniela, die sich durch Ihre Kaufsucht nicht nur hoch verschuldet, sondern auch gesellschaftlich isoliert hatte. "Weil ich an fast keinem Geschäft mehr vorbeigehen konnte ohne etwas zu kaufen, konnte ich mit Freundinnen nicht mehr bummeln oder in die Stadt gehen." Daniela gestand sich ihre Sucht erst ein, als die Schulden ihr endgültig über den Kopf wuchsen. In der heutigen Konsumgesellschaft mit Kreditkarten, Dispo und Abzahlungsverträgen ist es einfach, über seine Verhältnisse zu leben. Der Geldhahn wird erst zugedreht, wenn man schon gewaltige Schulden angehäuft hat. Deshalb ist der erste Schritt, nachdem man seine Sucht erkannt hat und bereit ist, sie zu bekämpfen, seine Kreditkarten zu vernichten und den Dispo herabzusetzen. Um das Suchtverhalten unterbrechen zu können, hilft es, nur noch mit Einkaufszettel in den Supermarkt zu gehen. Spontaneinkäufe lassen sich vermeiden, indem man sich ausgewählte Stücke zurück legen lässt. Auf diese Weise kann man die Kaufentscheidung überdenken und abwehren. Die wahrscheinlich schwierigste Aufgabe liegt in der Erforschung der Gründe für die Kaufsucht. Viele Menschen schaffen diesen Schritt nicht alleine. In diesem Fall ist es ratsam, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dieser Meinung ist auch Daniela: "Ich bin froh, dass ich nicht den selben Fehler wie nach dem Tod meines Mannes gemacht habe. Ich habe nach Hilfe gefragt und sie auch bekommen. Jetzt habe ich auch endlich meine Lebensqualität zurück."
Autorin: Anne Bartel, Platinnetz-Redaktion