Was einst als rettende Jahrhundertreform gedacht war, ist inzwischen als umstrittenstes Gesetz der Schröder-Ära in die Politikgeschichte eingegangen: Hartz 4. Seit seinem Inkrafttreten im Jahr 2005 sorgt Hartz 4 für eine nicht abreißende Flut von Klagen der Empfänger. Schuld sind unklare Gesetzesformulierungen.
Hartz 4 (auch Hartz IV) sollte das deutsche Sozialsystem eigentlich einfacher und gerechter machen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurde durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt eingeführt. Der offizielle Name der Zahlung lautet Arbeitslosengeld II. Es soll den sozialen Standard erwerbsfähiger Hilfebedürftiger sichern. Und genau über die Definition des "sozialen Standards" wird immer wieder gestritten. Welche Leistungen darf ein Empfänger von Hartz 4 erwarten? Was zahlt der Staat und was nicht?
Hartz 4 und der Streit um Miete, Heizkosten oder Zuverdienste
Die Verteilung der Hartz 4-Beträge obliegt den Agenturen für Arbeit. Zahlt die Agentur nicht das, was die Empfänger fordern, können diese gegen die Entscheidung klagen. Ein solcher Streitfall landet dann vor den Sozialgerichten, die mittlerweile vollkommen überlastet sind. Das größte deutsche Sozialgericht in Berlin meldete im Juli 2009 einen neuen Rekord von 2648 eingegangenen Klagen. Experten vermuten, dass die Anzahl der Klagen über Hartz 4-Entscheidungen sich in der nächsten Zeit noch steigern wird. Die meisten Fälle drehen sich um Uneinigkeiten was Miete, Heizkosten oder mögliche Zuverdienste angeht. Und das ist auch kein Wunder, heißt es im Gesetzestext beispielsweise zum Thema Miete nur, dass diese "angemessen" sein müsse. Da "angemessenen Mietpreise" in Gießen jedoch ganz anders aussehen als etwa in München, wird dieser Punkt nicht einheitlich berechnet. Es fehlt an klaren und festen Regelungen über die Höhe der zu leistenden Zahlungen.
Zu viele Einzelfälle werden bei Hartz 4 nicht berücksichtigt
Ein weiteres Problem neben den unklaren Formulierungen ist, dass es zu viele Einzelfälle gibt, die in kein Raster passen. Steht etwa einem Vater, der Hartz 4 empfängt, die Kostenerstattung für den Besuch seiner Kinder in einer anderen Stadt zu? Oder wird einer Frau, die Hartz 4 empfängt und in eine kleinere Wohnung umziehen muss, eine neue Einrichtung bezahlt, weil ihre alten Möbel nicht "beschädigungsfrei zerlegbar" sind?
Solche und ähnliche Fragen müssen vor Gericht geklärt werden. Das wiederum bringt immer wieder Hartz 4-Empfänger in Geldnot, da sie oft lange auf die Zahlungen warten müssen. In der Regel haben sie aber nicht die Möglichkeit, auf Rücklagen zurückzugreifen. In solchen Fällen kommt es dann zu einem Eilverfahren, die mittlerweile einen spürbaren Anteil an den Prozessen rund um Hartz 4 haben – Tendenz steigend. Die Kosten für die Rechtshilfe bei den Prozessen der Hartz 4-Empfänger übernimmt übrigens der Staat.
Beispiele von Rechtssprüchen in Hartz 4-Prozessen
Im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten fällt auf, dass die Hartz 4-Empfänger in den von ihnen angestrebten Prozessen überdurchschnittlich häufig Recht bekommen. Im Berliner Sozialgericht geht beispielsweise mehr als die Hälfte der Kläger als Prozessgewinner aus dem Gerichtssaal. Den Ausschlag für die Entscheidungen geben oftmals Form- und Verfahrensfehler der Behörden. Immer wieder müssen ähnliche Fälle, die sich jedoch im Detail unterscheiden, vor Gericht ausgetragen werden. So steht zum Beispiel schon länger fest, dass Hartz 4-Empfänger Anspruch auf einen Fernseher haben, weil er zum sozialen Standard gehört. Doch gerade Anfang August gab es noch einen zusätzlichen Entscheid vom Frankfurter Sozialgericht, dass das Recht auf ein Fernseher sich auf ein gebrauchtes Gerät beschränke.
Eine Hartz 4-Empfängerin zog vor Gericht, weil ihr aufgrund eines versäumten Termins bei der Agentur für Arbeit die Bezüge um 10 Prozent gekürzt wurden. Als Begründung für die Versäumnis gab sie an, dass sie zu diesem Zeitpunkt ihren 12-jährigen Sohn von der Schule habe abholen müssen. Das Landessozialgericht in Hessen wies die Klage zurück, mit der Begründung, dass ein Kind diesen Alters auch alleine nach Hause hätte gehen können.
Auch die Klage eines Mannes, der 40 Euro für einen Handwerker, der einen neuen Duschschlauch installierte, erstattet haben wollte, wurde abgelehnt. Die Begründung: Einen Duschschlauch hätte er auch selbstständig montieren können.
Einer Hartz 4-Empfängerin wurde der Strom abgedreht. Als sie bei der Agentur für Arbeit einen Kredit zur Begleichung der Schulden beantragte, wurde dieser abgelehnt. Begründung: Die Frau brauche weder aus medizinischen Gründen Strom, noch habe sie kleine Kinder. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen genehmigte den Kredit im Prozess.
Experten verlangen unbedingt eine Reformierung des Hartz 4-Gesetzes, damit zukünftig weniger Streitfälle produziert werden. Doch darauf werden wohl auch die Gerichte noch warten müssen, denn die ersten Überlegungen über eine eventuelle Reform werden frühestens nach der Bundestagswahl auf die Agenda kommen. Bis dahin werden sich die Streitfälle vor den Gerichten weiter häufen.
Autorin: Anne Bartel, Platinnetz-Redaktion