In den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Seniorenstudenten an deutschen Universitäten sich verdoppelt. Jeder zweite Gasthörer ist über sechzig Jahre alt. Besonders beliebt bei den älteren Semestern sind Fächer wie Geschichte, Philosophie und Literatur. Weiterbilden hält jung, macht Spaß und hilft, Kontakte zu knüpfen.
Fast jeder Seniorenstudent an einer deutschen Uni nimmt als Gaststudent an den Veranstaltungen teil. Die wenigsten schreiben sich für ein normales Studium ein und machen einen regulären Abschluss. Als Gaststudent bezahlt man weniger, absolviert keine stressigen Abschlussprüfungen, hat aber die Möglichkeit in den Seminaren Leistungsnachweise beispielsweise durch Referate zu erlangen. Für viele Menschen im besten Alter ist genau das eine geistige Herausforderung, der sie sich gerne und zwar nur für sich selbst stellen.
Seniorenstudium – als Gaststudent an der Uni
Wilhelm ist 67 und nimmt als Gaststudent an Veranstaltungen im Fach Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München teil. Er ist einer von etwa 2500 immatrikulierten Seniorenstudenten. Er liegt zwei Jahre unter dem Altersdurchschnitt und nimmt sowohl an Veranstaltungen vom "Zentrum Seniorenstudium" teil, als auch an regulären Vorlesungen und Seminaren mit jungen Studenten. "Ich konnte früher leider nicht studieren. Ich musste nach der Schule arbeiten gehen, um Geld zu verdienen. Trotzdem habe ich mich immer für Philosophie interessiert und jetzt, wo ich endlich mehr Zeit für mich habe, kann ich meinen Interessen nachgehen". Wilhelm hat mit seinem Studium an der Uni den idealen Weg gefunden, um seine Kontaktfreude mit seinem Wissensdurst und seiner nun ausreichend vorhandenen Freizeit zu kombinieren. Er hat die Erfahrung gemacht, dass es vielen seiner gleichaltrigen Kommilitonen ähnlich geht. Einige haben zwar früher schon einmal studiert, doch das macht Wilhelm mittlerweile keine Angst mehr – er findet sich genauso gut zurecht, wie die Akademiker im zweiten Anlauf. Gerade Frauen, die sich nach ihrem Studium größtenteils der Familie gewidmet haben, freuen sich, nachdem die Kinder aus dem Haus sind, über eine neue geistige Herausforderung. Und diese Herausforderung tut gut. Eine Umfrage in den Städten Dortmund und Oldenburg ergab, dass sich zwei Drittel der Seniorenstudenten nach Aufnahme des Studiums sowohl psychisch als auch physisch gesünder fühlen. An der Universität des 3. Lebensalters, einer Bildungsinstitution der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt, können ältere Semester auch ohne formale Bildungsvoraussetzungen studieren. Die Studiengebühren sind in Frankfurt aber auch an anderen Universitäten für Seniorenstudenten viel niedriger als für einen ordentlichen Studenten. Je nach Art des Studiums und der Anzahl der besuchten Kurse, variieren die Gebühren für Gaststudenten. An der Münchener Uni beispielsweise beträgt der Höchstsatz für einen Gasthörer 300 Euro.
Vorurteile gegenüber dem Seniorenstudium
Vorurteile, mit denen ältere Studierende oft konfrontiert werden, sind zum Beispiel: Die kommen immer viel früher, sitzen immer in der ersten Reihe, nehmen jungen Studenten die Plätze weg und wissen immer alles besser. "Das mag auf einige besonders strebsame Kommilitonen ja durchaus zutreffen", sagt Wilhelm dazu grinsend. "Ich denke aber, ich bin wie die jungen Leute auch – mal spät dran, nicht immer perfekt vorbereitet und wenn es keinen Platz mehr gibt, setze ich mich genauso auf die Treppe". Diese Einstellung macht ihn bei seinen Kommilitonen beliebt, die gerne von seinem Engagement und seiner Lebenserfahrung profitieren. "Klar ist es schon so, dass ich insgesamt einfach mehr Zeit habe, als Studierende, die ein Examen mit Prüfungen, Anwesenheitspflicht und Mindeststundenzahl ablegen wollen. Aber genau deshalb helfe ich meinen jungen Kommilitonen auch gerne mal." Gerade in Fächern wie Geschichte sind ältere Semester gern gesehene Studenten. In Seminaren über die Nachkriegszeit beispielsweise können sie ihren Kommilitonen als Zeitzeugen neue und deshalb wertvolle Sichtweisen vermitteln. Wer wie Wilhelm keine Berührungsängste hat und offen auf seine Kommilitonen – ob jünger oder älter – zugeht, wird sich an einer Uni nicht fehl am Platze fühlen.
Autorin: Anne Bartel, Platinnetz-Redaktion