In der heutigen Zeit begegnet sie uns überall (Internet, TV, Zeitschriften, Plakatwänden etc.): Die Sexualität! Das Nackte, Unverhüllte und Erotische. Kann da das Thema Scham überhaupt noch aktuell sein? Gibt es sie noch, oder leben wir in einer Zeit der Schamlosigkeit?
Sexualität ist präsent
Das Positive an der starken Präsenz von Sexualität in allen Formen ist sicherlich, dass das Thema dadurch den Weg aus der Tabuzone des dunklen Schlafzimmers geschafft hat. Über Sexualität darf geredet werden. Aber ist es heute zum Beispiel normal, dass sich Paare offen über ihre Wünsche austauschen können? Gibt es tatsächlich in dieser Beziehung gar keine Scham mehr, kann alles formuliert werden?
Corinna (43) hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Sie hat selbst eine Weile gebraucht, um ihre Wünsche offen einem Partner gegenüber zu äußern. „Ich hatte lange Hemmungen zu sagen, welche Stellung mir den meisten Spaß bringt. In einer früheren Beziehung hatte ich mich das erste Mal getraut, einen Wunsch zu äußern. Der Partner hatte das vorher noch nie erlebt und war erstaunt. Er konnte erst einmal gar nicht damit umgehen, ich hatte schon fast bereut, etwas gesagt zu haben, aber nach einer Weile ging es dann. In meiner jetzigen Partnerschaft habe ich auch eine Weile gebraucht mich zu öffnen, aber ich bin froh, dass wir es nun geschafft haben, offen zu reden.“
Die Scham dem Partner gegenüber zu verlieren, Wünsche und Vorlieben offen zu äußern, kann nur von Vorteil sein. Denn je mehr Offenheit herrscht, desto mehr Vertrautheit kann sich einstellen und die wird sicher zum größeren Lustgewinn beitragen. Dazu gehört auch, dass man offen zeigen kann, was einem gefällt und sich im idealen Fall einfach gehen lassen kann, ohne über irgendetwas nachzudenken.
Wie viel Scham tut der Sexualität gut?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Man muss sich in erster Linie klar werden, warum gewisse Dinge für einen persönlich mit einem Schamgefühl behaftet sind. Hat es etwas mit der Erziehung zu tun? War es etwa nicht angesagt, die eigenen Befindlichkeiten zum Ausdruck zu bringen? Ist man deshalb nicht in der Lage, Wünsche zu äußern, oder auch den Gefühlen freien Lauf zu lassen? Wird man sich bewusst darüber, wo die Scham ihren Ursprung hat, kann man besser mit den Gefühlen umgehen. Ein Nachteil der Dauerpräsenz von Sexualität ist nämlich, dass sich ein allgemeiner Druck ausbreitet, wenig Scham zu haben und auch allzeit offen für fast alles zu sein. Aber auch in der gelebten Sexualität muss man sich nicht alles vorstellen können und praktizieren. Denn wichtig ist, dass man das ausprobiert, wonach einem selbst ist und nicht denkt, man müsste Erwartungen erfüllen. Niemand muss Lust auf alles haben, das möglich ist. Das Motto sollte lauten: Erlaubt ist, was Spaß macht, das gegenseitige Einverständnis natürlich vorausgesetzt. Ein großer Vorteil einer freien, offenen Welt ist es doch, dass man alle Möglichkeiten hat, aber sich eben auch dagegen entscheiden darf! Wenn die eigene Scham einen einengt, dann sollte sie hinterfragt werden. Es lohnt sich meistens der Schritt, bestimmte schambehaftete Themen mit dem Partner anzusprechen. Davon können beide Seiten profitieren. Niemand aber sollte sich wegen seiner Scham rechtfertigen müssen, oder ohne davon überzeugt zu sein, sie überwinden.
Autorin: Dorothee Ragg, Platinnetz-Redaktion