Zwischen unserer Selbstwahrnehmung und dem Bild, das andere von uns haben, klaffen manchmal große Lücken. Auch diejenigen, die sich für völlig authentisch halten, stellen hin und wieder fest, dass ihre Umgebung sie in einem ganz anderen Licht sieht. Woher kommt der große Unterschied und was kann man dagegen tun?
Manchmal ist man erstaunt, wie beiläufig andere uns als optimistisch, tatkräftig, selbstbewusst oder zaghaft bezeichnen. Das Bild im Kopf scheint absolut unerschütterlich zu sein und man fragt sich, wo das wohl her kommen mag. Man selbst sieht sich meistens ganz anders. Liegt das vielleicht daran, dass man sich selbst besser kennt? Dass man weiß, welche Maske man täglich trägt? Oder ist das, was man nach außen trägt vielleicht ein Bild des Selbst, das man gerne hätte?
Wie entsteht das Bild von uns selbst?
Die ersten Etiketten bekommt man schon in der Kindheit verpasst und schleppt sie womöglich sein Leben lang mit. Niemand kommt mit einem fertigen Bild von sich selbst auf die Welt. Im Lauf des Lebens entwickelt man ein Selbstbild, das sich permanent mit jeder neuen Erfahrung verändert. Früher war man zaghaft und schüchtern, heute hat man das abgelegt und will sich nicht mehr hinten anstellen. Aber auch von außen wird das Selbstbild geformt. Schon in der Kindheit verpassen uns Eltern, Großeltern und Mitschüler Etiketten, an die wir uns anzupassen versuchen. „Du bist so wild, dich wird nie einer heiraten!“ Wenn Oma das sagt, wird es wohl stimmen. „Du bist ein alter Streber!“ Auch das Urteil der Mitschüler prägt. Umgekehrt setzen sich vielleicht auch gute Bilder fest. „Du bist immer so optimistisch und unbeschwert!“ Wer mit diesem Bild gesegnet ist, hat es im Leben sicher leichter, als jemand, der als Pessimist gilt.
Das Urteil der anderen hat mehr Einfluss auf das Bild von sich selbst, als man bewusst wahrnimmt. Gerade in jungen Jahren hilft das Bild der anderen bei der Suche nach der eigenen Identität. Man wählt aus dem Angebot an Charaktereigenschaften die aus, die einem zusagen. Aber mit zunehmendem Alter und mit wachsender Lebenserfahrung wird man so vielseitig und facettenreich, dass einem diese Etiketten nicht mehr gerecht werden. Warum zum Beispiel soll eine Mutter nicht gleichzeitig eine erotische Frau sein? Will man seine eigene Identität finden, darf man das Bild der anderen nicht zu ernst nehmen. Nur weil man in der Schule immer die Schüchterne war, heißt das nicht, dass man es sein Leben lang bleiben muss, nur weil die anderen es erwarten.
Zwar steckt immer ein bisschen Wahrheit im Bild der anderen. „Ein scheues, sensibles Kind wird sicher nicht ‚Die Wilde‘ genannt, und hinter dem Etikett ‚Die Streberin‘ steckt bestimmt kein Mädchen, das immer die Hausaufgaben vergisst" so Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Eva Wlodarek. „Natürlich kommen Labels von irgendwoher – meist aus der Kindheit“ aber wer ist schon so einseitig, dass allein die Bezeichnung „Optimist“ ihn komplett charakterisieren würde? Wer könnte in einem Satz alles aufzählen, was ihn ausmacht? Für die anderen sind solche Etiketten hilfreich, um in kurzer Zeit zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Das ist nicht böse gemeint, sondern praktisch und wenn man ehrlich ist, tut man es selbst auch. Man macht sich ein Bild, um das Gegenüber einordnen zu können und um voraus zu ahnen, wie derjenige wohl reagieren wird. Solche Etiketten wieder los zu werden, ist nicht ganz einfach.
Was man gegen ein falsches Bild tun kann
Wer als schüchterne Maus bekannt ist, dem nimmt die Umwelt den brüllenden Löwen einfach nicht ab. Die Maus erntet im besten Fall Mitleid. Bis die Umwelt begreift, dass sie das Bild anpassen müsste, dauert es eine Weile – wenn es überhaupt passiert. Daher ist der erste Schritt, das Bild von sich selbst zu ändern. Wer sich selbst als graue Maus betrachtet und sich nur symbolisch und probeweise das Tiger-Kostüm überstreift, wird sich selbst in dieser Rolle nicht ernst nehmen. Wie sollen es dann die anderen tun? Die Reaktion der Umwelt festigt dann wieder das Bild „Ich bin eben doch eine Maus“. Beim nächsten Mal wird man sich wieder dem Etikett „Maus“ entsprechend verhalten. So formt das Fremdbild das Selbstbild. Umgekehrt wäre es sinnvoller. "Unser Glaube an ein Label, nicht das Label selbst, gibt ihm die Macht, unser Verhalten zu beeinflussen" meint Dr. Eva Wlodarek. "Andererseits können Labels wie ‚Ich bin eine Kämpferin‘ hilfreich sein", so die Psychologin. Wer sich selbst so sieht, wird bei Problemen nicht gleich aufgeben. Er erwartet von sich selbst Mut und Durchhaltevermögen und will seine Erwartungen erfüllen.
So ist das Bild von sich selbst immer zusammengesetzt aus eigenen Wünschen und den Projektionen der anderen. Wer das Fremdbild dem Selbstbild anpassen möchte, darf sich nicht davon abschrecken lassen, wenn die anderen erst einmal verwundert oder verärgert reagieren. Wer anders reagiert als erwartet, erscheint zunächst bedrohlich. Der Sinn der Etiketten ist ja, das Gegenüber vorhersehbar zu machen und sich sicher zu fühlen. Die unerwartete Reaktion bringt Unsicherheit in das eingefahrene Verhältnis. Psychologin Dr. Eva Wlodarek rät: „Man kann zu seinen Freunden ruhig sagen: Ich bediene zwar das Label, aber bitte guckt gelegentlich dahinter. Und auch man selbst sollte dahinter gucken." Entspricht mein Selbstbild eigentlich noch dem, was ich sein möchte? Bin ich wirklich noch friedliebend und harmoniebedürftig? Es gehört Mut dazu, das eigene Selbstbild gelegentlich in Frage zu stellen, weil es bedeutet, die eigene Identität zu hinterfragen. Aber das Leben mit all seinen schönen und traurigen Begebenheiten und Erfahrungen verändert den Menschen unweigerlich. Immer wieder muss man Altes loslassen und Neues beginnen. Und nur wer sein Selbstbild gefestigt hat, kann ein altes Fremdbild wandeln.
Autorin: Elke Liermann, Platinnetz-Redaktion