Jeder möchte geliebt werden und jemand anderen lieben. Da ist der Mensch oft bereit, Kompromisse einzugehen, damit eine Partnerschaft funktioniert. Doch wo ist die Grenze zwischen Kompromiss und Selbstaufgabe? Bis wohin sollte man zum Kompromiss bereit sein und ab wann ist es zu viel des Guten?
Ob in der Liebe, bei Freundschaften oder in der Familie – jeder soziale Kontakt, verlangt vom einzelnen Menschen einen gewissen Grad an Anpassung und Kompromissbereitschaft. Doch gerade in einer Partnerschaft muss das Beharren auf eigenen Bedürfnissen, Vorstellungen und Überzeugungen möglich sein. Und auch wenn die Versuchung, einfach das zu tun, was ein Anderer einem sagt, groß ist, ist das keine Lösung. Die perfekte Harmonie lässt sich auf diesem Wege nicht schaffen. Denn diese Selbstaufgabe ist nur in der Theorie möglich – in der Realität macht es einen seelisch krank.
Kompromisse und radikale Veränderungen
Helmut (63) ist mittlerweile zum zweiten Mal verheiratet – und zwar glücklich! In seiner ersten Ehe lief es nicht so gut. Mit 30 Jahren lernte er seine absolute Traumfrau kennen. Er fuhr damals ein Harley Davidson Motorrad, trug seine Haare lang und lief nur in schwarzen Lederhosen und T-Shirts mit aufgedruckten Sprüchen durch die Gegend – für seine Angebetete ein absolutes No-Go! Ihr zuliebe schnitt er sich die Haare und kaufte sich „anständige“ Hosen und Hemden. „Das hat auch wirklich geklappt – Silvia hat mich ein halbes Jahr später geheiratet“, erzählt Helmut. „Am Anfang konnte ich mich noch verstellen und für sie auf viele Dinge verzichten. Aber nach 3 Jahren war damit endgültig Schluss. Wir haben uns nur noch gestritten und ich habe es bereut, dass ich so viel für sie aufgegeben habe. Ich konnte mit so viel Verzicht nicht länger leben.“
Helmut hat etwas getan, was zunächst nach einem sehr großen Liebesbeweis aussieht. Doch hat er damit das notwendige Gleichgewicht vom Geben-und-Nehmen innerhalb seiner Partnerschaft empfindlich gestört. So viel für einen anderen Menschen zu tun, setzt diesen unter Druck und bewirkt eigene Unzufriedenheit – Streit und Konflikte sind vorprogrammiert.
Ausgeglichenheit durch Kompromisse
Eine Beziehung kann nur funktionieren, wenn beide Partner sich wohl fühlen und mit der Gesamtsituation zufrieden und glücklich sind. Da zwei Partner trotz aller Liebe zueinander unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse haben, müssen beide Seiten auch mal Kompromisse eingehen. Hierbei ist wichtig, dass das Verhältnis von Zugeständnissen und Forderungen immer ausgeglichen ist. Keiner von beiden darf das Gefühl haben, dass er insgesamt der Verlierer in der Beziehung ist – das kann schnell zu Machtkämpfen führen. Und wenn es einmal soweit ist, dass Partner gegeneinander um die größere Macht über den jeweils anderen ringen, ist jede Beziehung schon zum Scheitern verurteilt. Wo man die Grenze zwischen Kompromiss und Selbstaufgabe zieht, muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Die einen freuen sich darüber, dass der neue Partner eigentlich keine Raucher mag und nutzen die Gelegenheit, um aufzuhören. Auch wenn der Partner eine bestimmte Art von Kleidung mag, wird man sich ihm zuliebe ab und an mal dazu überreden lassen. Bei vielen hört es jedoch auf, wenn der Partner verlangt, man solle etwa seine Freunde aufgeben oder seinen Lebenswandel komplett ändern. Generell ist jeder tiefe und andauernde Eingriff in die Persönlichkeit wohl zu überlegen: Zum Beispiel mal ein Treffen mit Freunden ausfallen zu lassen und statt dessen Zeit mit dem Partner zu verbringen, verändert einen Menschen nicht gleich. Doch plötzlich zum Stubenhocker zu werden und seine Freunde gar nicht mehr zu sehen, wird einen geselligen Menschen auf lange Sicht unglücklich machen.
Diese Erfahrung hätte sich auch Helmut gerne erspart. Er ist nach den Jahren der Enttäuschung zu sich selbst zurückgekehrt und hat in Meike (60) eine Frau gefunden, die ihn so liebt wie er ist. „Ich trage wieder meine Lederhosen und fahre immer noch Motorrad. Unser Kompromiss ist: Sie setzt sich ab und zu mal zu einem Ausflug auf den Sozius, dafür habe ich einen Tanzkurs mit ihr zusammen angefangen.“
Autorin: Anne Bartel, Platinnetz-Redaktion